Ich nenne mich Kampfchoreografin. Aber was genau macht eine Kampfchoreografin eigentlich?
Im folgenden Blog möchte ich über das Berufsbild Kampfchoreografie und die Arbeit als freischaffende Künstlerin in einer Nische sprechen.
Erstmal ganz grob: Im Optimalfall ist die Kampfchoreografie gemeinsam mit der Regie, der Dramaturgie und der Ausstattung Teil des Regieteams. Manchmal sind da noch Musiker*innen dabei, oder Videoartists, oder Intimitätskoordinator*innen, oder, oder.
Als Teil des Regieteams ist sie maßgeblich am künstlerischen Schaffensprozess und Outcome einer Produktion beteiligt. Das heißt sie arbeitet im Schulterschluss mit den anderen an der jeweiligen Produktion beteiligten Gewerken.
Die Arbeit der Kampfchoreografie umfasst die Ästhetik und die Sicherheit des künstlerischen Gesamtergebnisses. Dafür dass die Proben safe und kooperativ verlaufen und entsprechend die Performance wirklich gut wird, müssen sich die Gewerke abstimmen und disponieren was wann wie probiert und zu sehen sein soll.
Eigentlich klar. Aber in der Praxis ist die Kommunikation noch vor der künstlerischen Arbeit ein wesentlicher Knackpunkt. Sofern sich das Team nicht schon kennt, müssen also erstmal die Formen des Miteinanders geklärt werden.
Wer möchte was, wo sind die Grenzen und wer hat den Hut auf. Kampfchoreografie hat also nicht nur mit Kämpfen, sondern auch viel mit Kommunikation und Diplomatie zu tun.
Als eigenständige Kunstform unterstützt die Kampfchoreografie die Gesamtaufführung.
Ich bin als Kampfchoreografin auch aber nicht ausschließlich Kampfsporttrainerin. Während man im Kampfsporttraining meist übt, in Gefahrensituationen erfolgreich zu reagieren (Selbstverteidigung), oder sein persönliches Fitnesslevel heben möchte (Breitensport), verlangt die Arbeit als Kampfchoreografin andere – vor allem künstlerische – Fertigkeiten.Ziel meiner Arbeit ist zwar auch die Überwindung eines Gegenübers, allerdings szenisch dargestellt mit einem Partner, wiederholbar, nachvollziehbar, sicher und ästhetisch anspruchsvoll. Im Vergleich zur Tanzchoreografie müssen wir den Spielenden Techniken vermitteln, den sicheren und korrekten Umgang mit Waffen beibringen, uns mit der technischen Leitung absprechen, Gefahrenanalysen erstellen, usw. Neben dem Techniktraining arbeiten wir dramaturgisch und entwickeln ein spezifisches Fight Design (Waffenwahl, Waffenführung, Körpersprache, Figurenarbeit) und choreografieren eine Story (einen für das Publikum nachvollziehbaren dramaturgisch sinnvollen Verlauf szenischer Gewalt).
Während Kämpfen Chaos ist, versuche ich in der Kampfchoreografie meistens das Chaos aufzudröseln und empfindbar zu machen.
Während Kämpfen Chaos ist, versuchen wir – je nach künstlerischer Anforderung – das gezeigte Chaos aufzudröseln. Dafür flechten wir vorgegebene Texte ein, geben den Figuren passende Techniken, kurz: gemeinsam mit den Spielenden versuchen wir physisch eine Geschichte zu erzählen, die meist mehr ist als: A haut B um. B ist tot. Versteht mich nicht falsch, A kann B ruhig umhauen, das gehört auch zu meiner Arbeit. Ich nenne diese einfachen Kämpfe, die nicht über sich selbst als Zeichen für Gewalt hinausverweisen, liebevoll: Gebrauchsgewalt.
Kampfchoreogafie ist mehr als das Aneinanderreihen kämpferischer Techniken: Ohne ästhetisches, choreografisches, technisches und dramaturgisches Grundvermögen wäre eine Kampfchoreografie ohne Mehrwert. Vielleicht hast du sowas im Fernsehen, oder auf der Bühne schon gesehen: Es passiert irgend so ein unspezifisches Rumgehaue mit miesen Techniken, und zeigt einfach nur eine random Form von Gewalt. Am Ende ist dann entweder der Held, oder der Bösewicht tot, oder verwundet. Möglicherweise merkst du auch, dass da was fehlt, der Kampf gestellt aussieht und sich nicht in die Form des vorher und nachher Gezeigten einfügt. Das Publikum steigt aus, das Ergebnis ist unbefriedigend: Genau das wollen wir vermeiden.
Warum Kampfchoreografie eine eigenständige Kunstform ist
Kampfchoreografie ist nicht Schaukampf, ist nicht Kampfsport auf der Bühne, sondern eine eigenständige Kunstform. Sie hat ihre eigenen Techniken, Methoden und Formensprache. Als interdisziplinäre Kunstform entwickelt sich die Kampfchoreografie in ihren Techniken und Methoden stets weiter. Waren es vor 50 Jahren meist Degen und Mantel Stücke, sehen wir heute Messerkampf, asiatische Kampfkünste, Akrobatik, Stunts und Schießereien auf der Bühne. Und was macht es interdisziplinär? Die Techniken und Prinzipien sind nicht ausschließlich auf die Formen von Kampfkunst und Kampfsport beschränkt, sondern bedient sich auch Techniken und Methoden aus bspw. dem zeitgenössischen Tanz, der Biomechanik, oder der Pantomime.
Deswegen ist der BIK so wichtig: gemeinsam mit unseren Mitgliedern versuchen wir uns auf Sicherheitsstandards zu einigen und entwickeln eine eigenständige Ausbildung. Im Vergleich zum amerikanischen, englischen, und bspw. norwegischen Ausland gibt es in Deutschland nämlich noch keine eigenständige Ausbildung für diesen Beruf. But trust us: we are on it. Das führt mich gleich zum nächsten Punkt:
Macht jede*r Kampfchoreograf*in das Gleiche?
Genau so wenig wie jede*r Regieführende das gleiche macht, besitzen auch wir Kampfchoreogaf:innen eigene Interessen und Fertigkeiten. Die Branche und Ausbildung der deutschsprachigen Kampfchoreograf*innen Branche ist sehr heterogen. Allerdings – und das ist entscheidend – kann man von einem*r ausgebildeten Kampfchoreograf*in wie von einem*r ausgebildeten Regisseur*in erwarten, dass gewisse Produktions- und Qualitätsstandards eingehalten werden.
Hierfür haben wir im BIK Richtlinien festgelegt. Unsere Mitglieder sind alle ausgebildete Kampfchoreograf*innen mit nachgewiesener Praxiserfahrung. Es gibt Sicherheitskonzepte, dramaturgisches Grundverständnis und wir haben uns alle auf einen wertebasierten Verhaltenkodex (Code of conduct) zur Prävention von Machtmissbrauch und Diskriminierung am Arbeitsort geeinigt.
Wir Kampfchoreograf*innen im DACH-Raum kommen aus sehr unterschiedlichen Ecken und sind sehr divers ausgebildet.
Ich bin beispielsweise studierte Theaterwissenschaftlerin, Germanistin und Bewegungspädagogin. Ursprünglich komme ich aus dem Kampf- und Leistungssport und dem zeitgenössischen Tanz. Mein Fokus liegt mehr auf einer sinnhaften Kampfdarstellung, auf Closefights, Messerkampf, Contact Improv usw. Ich habe an mehreren Schauspielschulen und Seminaren mit internationalen Lehrer*innen gelernt. Das Gros meines Wissens entstammt aber vor allem der praktischen Arbeit und dem Austausch mit Kolleg*innen.
Macht man als Kampfchoreograf*in immer das Gleiche?
Je nach künstlerischem Konzept unterscheidet sich natürlich die verwendete Formensprache, die zugrunde liegende Kampfkunst, oder das gezogene Bewegungsregister. So choreografiere ich einmal die Komödie „How to date a feminist“ in einem Wrestlingring, oder Shakespears „Richard III“ als klassischen Schwertkampf mit Bastardschwertern, werde gecastet für Werbefilme mit Lichtschwertern in einem Büroset, oder erarbeite ein actionfilmartiges Theaterstück mit Messerkampf und Bodystunts. Ich lerne nie aus, was ich an diesem Job wirklich liebe.
Praxischeck
Wir haben jetzt viel theoretisch palavert. Wie sieht es aber ganz pragmatisch aus, wenn ich eine Anfrage von einem Theater, oder einer Produktionsfirma bekomme?
1. Organisatorische Vorarbeit und Strukturen klären: Ich spreche mit der Regie und frage, was sie sich vorstellt und wie viel Zeit (Probetage, Bühnenproben, Drehtage) wir haben.
Ich lerne das Ensemble kennen, mache mich über die jeweils geltenden Vorschriften, Verantwortlichen und rechtlich Interessantes (Versicherung, Waffenrecht) schlau.
Dann kommt 2. die künstlerische Vorarbeit: Gibt es einen Text (außer der Körper), ist es eine Stückbearbeitung, eine Performance, ein klassisches Drama? Woher kriege ich die Waffen und welches Budget habe ich dafür? Wer kämpft warum mit welcher Waffe, was tragen die Menschen und wie sieht die Bühne eigentlich aus?
Und dann geht es in die Praxis: Vor der Szenenarbeit, checke ich mit einem Grundlagenworkshop den status quo der Körperlichkeiten. Gibt es Verletzungen, Vorerfahrungen, welche Gruppendynamik herrscht vor.
Anschließend erbarbeite ich gemeinsam mit dem Regieteam und den Darstellenden ein an die jeweilige Produktion angepasstes körperliches Vokabular, also spezifisches Technikwissen.
Auf dem aufbauend choreografieren wir in Abstimmung mit der Ausstattung und Regie die einzelnen Kampfszenen. Über die Probezeit steigern wir das Tempo, verschlanken die Techniken, nehmen Specialeffekte hinzu (Blut, Licht) und radieren weg, was unsicher ist.
Und wie sieht das rechtlich aus?
Als Künstlerin arbeite ich meist mit Werk-, Veranstaltungs-, oder Gastvertrag und bin auf Augenhöhe mit Kolleg*innen anderer Gewerke (Regie, Dramaturgie, Requisite, Ausstattung, Licht, Bühne, Technik).
Ich unterstehe rechtlich meist der Weisungsbefugnis der Bühne. Als Kampfchoreografin gebe ich vor der Premiere die choreografierten Kämpfe frei und verfüge mit der Requisite / Ausstattung / Rüstmeisterei über die verwendeten Waffen. In Absprache mit der Bühnenmeisterei und der technischen Direktion habe ich im Sinne des Arbeitsschutzes die Möglichkeit, Kämpfe als unsicher einzustufen und nach eingehender schriftlicher Sicherheitsanalyse entweder durch weitere Proben anzupassen, oder nicht frei zu geben.
Schlussendlich bin ich dafür da, dass sich niemand – weder seelisch, noch körperlich – verletzt, dass es gut aussieht und dass jede*r Spaß daran hat, zu spielen.
Hast du weitere Fragen? Dann lass mich das gerne in den Kommentaren wissen.
#bebik
Franzy Deutscher
Toller Artikel. Gibt mir eine starke Zusammenfassung dieser besonderen Welt, die ich selbst kenne und sehr schätze.